Jonathan Wilfling

Schimmel

Neulich hab ich sie entdeckt:
Auf den Fugen feuchter Fenster
Sprossen Punkte wie Gespenster,
Von der Nässe aufgeschreckt.
Schnell war alles schwarz gefleckt.

Doch es blieb nicht lange so;
Ekle Schwärze kennt kein Rasten,
Ließ nicht ab, sich vorzutasten
An den Rahmen sowieso
Und schon bald auch anderswo.

Das Tapetenweiß erstirbt.
Wasser in den Wänden sprudeln,
Rohre bersten. Frech besudeln
Pechgebilde das, was wirbt
Um Verschonung, doch verdirbt.

Raum, nun bist du ganz entstellt!
Deine Wände ziert Verwesung
Ohne Hoffnung auf Genesung;
Alles, was an dir gefällt,
Modert eilends und zerfällt.

Raum, sag, ob noch in dir schwillt
Reinheit in verborgnen Trieben,
Die dir noch erhalten blieben,
Oder ob der Wuchs gestillt
Und’s die Tür zu schließen gilt!

Jonathan Wilfling
24.06.2022

Spiegel

In manchen kühn durchtauchten Flimmerfluten,
Die nachts sich auf den sanften Atem legen,
Entstiegen wüstem Schlick die heißen Gluten –
Ein innerlich geschürter Feuerregen!
Die Wünsche, die schon lange in mir ruhten,
Sie waren’s, die des Schlafes reicher Segen
In feinstem Wohlklang ins Bewusstsein spülte,
Dieweil ich tags voll Gram nach ihnen wühlte.

Von Missgunst und berechnendem Gebaren,
Der Arroganz, den Selbstbetrügereien,
Dem eklen Geltungsdrang der blinden Scharen –
Von aller Schande will ich uns befreien.
In meinem Traum versammelt sich des Wahren
Und Guten Heer in wohlgeformten Reihen;
Und fortgedrängt sind alle Schlechtigkeiten,
Denn hier darf nur das Edle vorwärts schreiten.

Doch schickt es sich, allein zu definieren,
Was wertvoll, was verwerflich ist? – Ich fühle
Mich kundig dessen, wonach alle gieren
Ganz insgeheim, wenn ich in nasser Kühle,
Im klaren Meer seh, wie sie sich verlieren.
– So sinnt der Utopist in müder Schwüle…
Doch kein Erkenntniswasser, ganz gewiss,
Nein, er schaut nur die Quelle des Narziss.

Jonathan Wilfling
15.05.2023

Weitere Gedichte von mir finden sich unter anderem in „Stadtlichter“, der Anthologie zum Preis der Heidelberger Autor:innen 2021-23: https://www.draupadi-verlag.de/literatur-aus-deutschland/stadtlichter/

Alle Rechte an den Texten liegen bei den Autor:innen. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe ist nur nach vorheriger Anfrage/Absprache möglich.