Schimmel
Neulich hab ich sie entdeckt:
Auf den Fugen feuchter Fenster
Sprossen Punkte wie Gespenster,
Von der Nässe aufgeschreckt.
Schnell war alles schwarz gefleckt.
Doch es blieb nicht lange so;
Ekle Schwärze kennt kein Rasten,
Ließ nicht ab, sich vorzutasten
An den Rahmen sowieso
Und schon bald auch anderswo.
Das Tapetenweiß erstirbt.
Wasser in den Wänden sprudeln,
Rohre bersten. Frech besudeln
Pechgebilde das, was wirbt
Um Verschonung, doch verdirbt.
Raum, nun bist du ganz entstellt!
Deine Wände ziert Verwesung
Ohne Hoffnung auf Genesung;
Alles, was an dir gefällt,
Modert eilends und zerfällt.
Raum, sag, ob noch in dir schwillt
Reinheit in verborgnen Trieben,
Die dir noch erhalten blieben,
Oder ob der Wuchs gestillt
Und’s die Tür zu schließen gilt!
Jonathan Wilfling
24.06.2022
Storchenflug
Die Zweige harren gottverlassen,
Hoch auf der Ziegel braunem Rot,
Der Rückkehr. Reglos sind die Gassen
Und übersät von Taubenkot.
Ein harter Winter naht und droht
Mit kaltem Griff die Stadt zu fassen –
Die Horste liegen starr und tot.
Am Tschadsee mögt ihr grad verweilen,
Mit Graukopfmöwen Lager teilen,
Saharasand noch im Gefieder;
Flogt sonnendurstig tausend Meilen
Und mehr, der Klammheit zu enteilen
Dezemberabendlicher Lieder.
Doch sinnfrei nicht ist banges Harren!
Wenn Eis verschwimmt in Seen aus Tau,
Die Blüten schon in Knospen scharren,
Der Lüfte Hauch mäandert lau, –
Dann breitest du auf deinem Bau
Die Schwingen weit, und unten starren
Gebundne auf der Flügel Schau.
Jonathan Wilfling
12.08.2022