Christoph West

Ich bin Christoph, studierender Physiker im Master und regelmäßig besuche ich die unendlich tippenden Affen in meiner linken Gehirnhälfte, hinter dem Frontallappen, in den kreativen Bürobuchten — ebenso wie ich Kamina seit Herbst 2022 besuche. Wenn die nichts Neues haben, gehe ich in den Tintenländereien spazieren und freue mich, wenn sich wieder einmal ein wilder Text mit mehr oder weniger Sinn in seiner freien Laufbahn zeigt — sie sind sehr scheu! Zum Glück wälzen sich die Texte sehr gerne in mit Tinte benetzten Lettern, was das Einfangen sehr einfach gestaltet. Dabei finden sich meist Kurzgeschichten, längere Werke oder ganz, ganz selten eine lyrische Anordnung von Wörtern.

Hier ein schönes Exemplar:

Grünes Licht

Wie benommen bewegte er sich mit der Meute. Und dennoch für sich allein. Der Bass brummte in seinen Ohren. Brachte seinen Brustkorb zum Vibrieren. Synchronisierte seinen Herzschlag. Jeder bewegte sich allein, in seiner Welt und dennoch wirkten sie wie ein Schwarm, der ein und dasselbe dachte. Er fand es faszinierend, als ihm bewusst wurde, wie er seine Umgebung wahrnahm. Hier im Dunkeln, Seite an Seite mit fremden Menschen. Nah genug, aber noch weit entfernt. Das Licht wirkte hypnotisierend. Wie alles. Die schwappende Menge, das saugende Dröhnen, die greifenden Lichter.

Er war begeistert. Er hatte nie etwas von diesen Veranstaltungen gehalten, aber irgendwie reizte es ihn. Einfach mal die Kontrolle abgeben. Den Kopf ausschalten. Mit der Menge mitschwimmen. Dem Körper das Gefühl überlassen. Und das Ganze bewusst und unbewusst zugleich erleben.

Er fühlte sich dazugehörig und dennoch wie ein Fremder. Er fühlte, dass er genau jetzt an diesem Ort war und dennoch spürte er, wie er währenddessen durch andere Welten glitt. Er fragte sich, ob er in diesem Raum überhaupt existent war. Seine Sinne waren in Einheit stimuliert. Synchron gepolt. Geschickt verstrickt. Eine Welle, die sich aufbaute. Wie fühlte sich Existenz überhaupt an? Da der Mensch doch offenbar so leicht manipuliert werden konnte.

Er blickte vom Boden auf. Da sprang ihm etwas ins Auge. Etwas, das sich hervorhob und trotzdem versteckt war. Ein grünes Licht. Ein Punkt, ein kleiner Stern inmitten der Dunkelheit. Sofort fokussierte sich jede Faser in seinem Körper darauf. Schien sich dorthin auszurichten, wie eine Kompassnadel. Er starrte hinein. Vielleicht war Existenz auch nur Einbildung. Vielleicht lief alles darauf hinaus, dass der Verstand einem eine Welt zeigte, die nur er verstand. Die nur er sehen mochte. Er blickte um sich. Niemand schien das Licht zu fixieren. Niemand machte den Anschein, es auch nur zu bemerken. Alle schwammen sie weiter im Ozean aus Bass und Licht. Vielleicht sah nur er dieses Licht.

Bevor er es realisierte, bewegte sich sein Körper darauf zu. Als würde er schweben, als würde er von der Welle getragen werden. Das Grün trieb seine Sinne fast zum Überlaufen. Vielleicht sahen alle dasselbe wie er oder keiner. Vielleicht war er der Einzige, den das Licht in seinen Bann zog. Vielleicht, weil er es wollte oder vielleicht, weil ihm keine andere Wahl blieb. Oder vielleicht, weil er etwas sehen wollte. Vielleicht war Existenz so etwas wie ein Lichtstrahl. Grell, leuchtend, strahlend. In allen Farben. Sogar in mehreren gleichzeitig. Vielleicht war Grün seine Existenz. Vielleicht hatte er sie gefunden. Vielleicht zog ihn seine Existenz an. Er war Schritt für Schritt auf das Licht zugegangen, die anderen nicht wahrnehmend, genau wie sie ihn nicht wahrnahmen. Vielleicht war seine Existenz für die anderen unsichtbar. Vielleicht sah jeder Mensch nur seine eigene Existenz vor sich. Nur in der Lage, zu hoffen, dass die anderen ihn doch auch sehen konnten. Aber sie alle waren unsichtbar. Nichts konnte seine Existenz sichtbar machen. Nichts konnte sie bestätigen. Nichts konnte sie erschaffen. Nur man selbst. Man war in seiner eigenen Existenz gefangen.

Er stand inzwischen vor dem grünen Licht. Er blickte sich um. Irgendwie fühlte er sich beobachtet. Er fuhr mit der Hand durch den Strahl. Sie färbte sich grün. Er war wie benommen. Seine Ohren klangen, sein Herzschlag hatte zu seinem eigenen zurückgefunden, seine Augen sahen nur noch das eine Licht. Die eine Farbe. Sie lechzten nach dem Grün. Er wollte es spüren. Wollte es fühlen. Wollte es schmecken. Existenz war doch ein reines Hirngespinst. Er beugte sich noch weiter in das Licht, sodass seine Augen direkt davor waren. Sodass sein Augenweiß grün wurde. Dass seine maximal geweiteten Pupillen den gesamten Lichtstrudel einfangen konnten. Aber es war ihm nicht genug.

Er beugte sich vor und verschmolz mit dem Licht. Tauchte ein. Vielleicht war Existenz diese eine Illusion. Diese eine Illusion, die wir uns erschufen, um dieser kläglichen Leere einen Sinn zu verschaffen.

Er blickte vom Boden auf. Ihm sprang etwas ins Auge. Durch den bewegten Ärmewald sah er ein grünes Licht, das ihn in seinen Bann zog. Je mehr er darauf blickte, je mehr er davon einsog, desto mehr schien er ein Gesicht zu erkennen. Eines, das ihn anzustarren schien.

Sich selbst.

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