Katharina Dück

Foto: Reiner Engwicht

 

was von uns bleibt

wenn wir einen Ort
verlassen
ist Wechsel und geraubte Zeit

Zeit packen wir
in ein Gefühl aus Angst
vor der Bedeutungslosigkeit

Trost gibt allein
der Wunsch nach Wiederkehr
und Hoffnung auf Geburt


der Sprachvogel

unsere Sprache haben wir vom Sprachvogel
das weiß man
seit man vor kurzem die alte Höhle
tief unter der Erde gefunden hat
gesehen hat sie niemand
dort scheint nur selten Licht
dort fließt noch Wasser
es flutet die Hohlräume
es ist gefährlich dorthin hinab zu steigen

die Wände und Decken dort sind über
und über bemalt mit den Bildern vom Sprachvogel
wenn der Sprachvogel spricht
hören alle zu
obwohl niemand Ohren hat
auf den Bildern
wenn der Sprachvogel fort fliegt
warten alle auf seine Rückkehr
obwohl niemand ihm nachsieht

einen Partner hat der Sprachvogel nicht
vielleicht irgendwo
auf den Bildern sieht man es nicht
der Sprachvogel ist immer allein
er reicht sich selbst
der Sprachvogel lebt ewig
der Sprachvogel weiß alles
auch kann er alles
erledigen

wenn der Sprachvogel kommt
spricht er laut und deutlich
er bringt allen seine Sprache bei
alle sprechen seine Sprache nach
alle tun
was der Sprachvogel sagt
ohne zu wissen
dass sie tun
was er sagt
weil sie nur seine Sprache sprechen

woher ich das weiß?
ich hab es geträumt


Highlands, Wasser, Nebel

es flutet mich
der tosendgrüne Wind
und gelber Ginster
färbt meine braune Iris

weiße Wolle dringt
ein in meine Haut
und faltet auf
und wärmt sie rot

von oben branden
Perlentropfen an mein Ohr
sie dringen flüsternd ein
bekennen deine Liebe

noch nie umfing mich die Natur
zugleich so eng und weit
dazwischen unvermischtes Glück:
Highlands, Wasser, Nebel


Disko-Intervalle 2.0

Farben dem Bass gleich pulsieren.
Neuronen im Kopf explodieren.
Die Halsschlagader zuckt.
Die Hüfte rückt
der Box entgegen.

Nasse Haare fliegen.
Hände ringen
um Kurven voll Durst,
saugen die Lust
in ihre Poren ein.

Wollust in Massen trinken.
Hemmungen sinken
tiefer ins Glas.
Es zählt nur der Spaß
auf dem Parkett.

Augen schäumen Erregung.
Pupillen fühlen Bewegung,
legen Beute in Stricke.
Lüsterne Blicke
fassen sich an.

Körper schwingen.
Synapsen singen
ein Kaleidoskop zusammen.
Schweißperlen rammen
gierige Lippen.

Schnell mit Speichel benetzen.
Gedanken in Fetzen.
Arme greifen.
Feigen reifen
unter der Haut.


Heidelberg

In Heidelberg muss man leben können.

Muss die Studentenflut dulden können.
Muss als Student in einer Vorlesung sitzenbleiben und auch aufstehen und rausgehen können.
Muss nach der Zwischenprüfung von der Alten Brücke springen und im Neckar schwimmen können.
Muss auch heute sich im Karzer eintragen können.
Muss das Außerhalb der Innenstadt und in der Innenstadt die Besucher von außerhalb ertragen können.
Muss japanische, amerikanische, chinesische, englische, indische, russische, spanische Touristen fotografieren können.
Muss den fauligen Fleischgeruch in der Nachbarswohnung riechen können.
Muss rote Rosen auf rostigem Fleck vor dem Studentenwohnheim sehen können.
Muss die Hauptstraße und die Plöck ohne Jemanden zu berühren gehen können.
Muss auf dem Bergfriedhof lernen können.
Muss den Philosophenweg ohne den Blick ins Tal spazieren gehen können.
Muss das am Berg vor Erinnerungen drückende Schloss aushalten können.

Man muss aus Heidelberg weggehen – können.

Weitere Gedichte finden sich auf meiner Homepage: http://katharina-dueck.de/


dueck-katharina_wellen-branden_cover_front

Dank dem großartigen Künstler Wolfgang Glass, der meinen ersten Lyrikband Wellen branden bebildert hat, und dem fantastischen Verleger Florian Arleth vom Brot & Kunst Verlag, haben meine Gedichte ein so schönes Kleid in der Reihe Lyrik im Quadrat erhalten. Ein anregendes Vorwort hat die wunderbare freie Kulturjournalistin und Lektorin Usch Kiausch geschrieben.

Das Buch ist HIER erhältlich.


Langzeitprojekt

Momentan schreibe ich an meinem ersten Roman „Winterreise“, eine Adaption des Gedichtzyklus‘ von Wilhelm Müller. Der Freiburger Komponist Mirco Oswald komponiert für jede Episode des Romans Modulimprovisationen in Anlehnung an Schuberts Interpretation des Müller’schen Stoffs. Ausgeführt wurde die Oswald’sche Komposition bisher nur von der Konzertpianistin Claudia Pérez Iñesta. Das Verfahren verflicht Komposition, Text und Improvisation zu einem melodramatischen Gesamtkonzept.

Katharina Dück (li.) und Claudia Perez Inesta (re.) bei der musikalischen Lesung der "Winterreise" in der Galerie Melnikow, Heidelberg
Claudia Perez Inesta (re.) und ich bei einer musi-
kalischen Lesung der „Winterreise“. Hier in der
Galerie Melnikow, Heidelberg (2013).

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